In den folgenden Monaten passierte so einiges, zum Beispiel kamen meine Mutter und mein Bruder Xaver zu Besuch und ich flog mehrmals nach Deutschland um mein Studium abzuschließen. Doch das aufregendste und wichtigste Ereignis für uns war, dass wir Eltern werden würden!
Ich befand mich, als ich feststellte, dass ich schwanger war, gerade in München und war mitten in den Abschlussprüfungen, während Torsten in Taipei arbeitete. Er wollte kurz vor Weihnachten nach Deutschland nachkommen und im Januar würden wir dann beide zusammen nach Taiwan zurückfliegen. Ich rief ihn sofort an und verkündete ihm die frohe Botschaft. Er war genauso glücklich wie ich, allerdings war seine Freude dadurch etwas getrübt, dass er mich nicht zu den Arztterminen begleiten konnte, wie es sich seiner Meinung nach für einen ordentlichen Vater gehörte. So schickte ich ihm eben die Ultraschallaufnahmen der ersten drei Monate per E-Mail und hielt ihn telefonisch über meine Schwangerschaftsgelüste, die Entwicklung des Babys und meine jeweils aktuellen Namensfavoriten auf dem Laufenden. Im Dezember kam er dann wie geplant nach München und war angetan von meinem kleinen Bäuchlein. Wir hatten keine Ahnung, was es in Taipei an Babykleidung zu kaufen geben würde und deckten uns daher vorsorglich in Deutschland ein. Das war auch gut so, denn wie wir später feststellen mussten, gehen Taiwaner mit ihren Kindern in den ersten Wochen grundsätzlich nicht vor die Tür und wickeln daher die Neugeborenen nur in leichte Tücher oder ziehen ihnen Hemdchen an. Kleinkinder kleiden sie im ersten Jahr gerne in weiche Schlafanzüge, auch wenn sie gerade nicht schlafen, sondern auf dem Spielplatz oder beim Einkaufen sind. Die Auswahl an Babykleidung in Taipei ist daher gering, und das wenige, das man findet, ist teuer.
Zurück in Taipei begannen wir, das Arbeitszimmer auszuräumen und in ein Kinderzimmer zu verwandeln. Wir hatten außer den Strampelanzügen und meinem alten Stubenwagen nichts aus Deutschland mitgebracht und mussten noch so einiges besorgen. Also nahmen wir uns einen Samstag lang Zeit und fuhren zu Ikea.
Der Ikea in der DunHua Road in Downtown Taipei liegt versteckt im Untergeschoss eines riesigen Hotel- und Einkaufskomplexes. Hat man sein Auto in der Tiefgarage geparkt, muss man mit dem Lift ins Untergeschoss fahren, ein Schuhgeschäft und einen Computerladen durchqueren und immer den gelben Pfeilen folgend eine weitere Treppe hinabsteigen; dann erst befindet man sich in der Ikea Möbelausstellung.
Ab hier ähnelt der Ikea der uns bekannten Filiale in Eching bei München ziemlich, nur dass er etwas kleiner ist. Angesichts der vertrauten Umgebung waren wir beide kurz davor, wehmütig zu werden und einen Anflug von Heimweh zu bekommen, allerdings nur, bis wir näher hinsahen. Denn in einem weiteren Punkt unterscheiden sich die beiden Läden ganz enorm: im Verhalten der Kunden. Während in Deutschland Wohnbeispiele ausgestellt sind und von den Kunden betrachtet werden, wird in Taiwan der Name Wohnbeispiel sehr wörtlich genommen und es wird tatsächlich fast in den ausgestellten Möbeln gewohnt! Wir waren leicht fassungslos und sehr erheitert, als wir feststellten, dass ältere Männer auf den Sofas und Betten lagen und schliefen, ein Teenager in einem Wohnbeispiel-Wohnzimmer saß und Gitarre spielte und sich in der Kinderabteilung mehrere Kinder mit den Spielsachen beschäftigten, während ihre Eltern auf Stühlen und Kommoden saßen und zuschauten. Es ist ja auch ganz praktisch, ein paar Stunden lang auf einem Sofa bei Ikea „Probe“ zu schlafen, so kann man sich ganz von dessen Gemütlichkeit überzeugen und – was auch nicht zu verachten ist – befindet sich in klimatisierten Räumen. Der ganze Ikea erinnerte uns eigentlich mehr an eine sehr überfüllte Wohngemeinschaft als an ein Geschäft.
Wir erholten uns von diesem doch sehr überraschenden Kulturschock (gerade bei Ikea waren wir uns sicher gewesen, wir wüssten, was uns erwartet), sahen uns die Babymöbel an und entschieden uns für eine Wickelkommode aus der Reihe Leksvik. Es gab dazu auch noch ein passendes Kinderbett, das wir allerdings erst später kaufen wollten, da wir ja für die ersten Monate den Stubenwagen hatten. Die Wickelkommode musste bestellt werden, was sich als etwas schwierig gestaltete. Der Hauptname, in diesem Falle „Leksvik“, sowie der Preis waren zum Glück für uns lesbar, alles andere war jedoch in Schriftzeichen auf die Schilder geschrieben. Torstens Chinesisch war zwar mittlerweile relativ alltagstauglich, reichte aber leider noch nicht für ausgefallene Wörter wie „Kommode“ oder „wickeln“. Wir notierten Namen und Preis auf einem Zettelchen, welches wir der Verkäuferin gaben (würde schon klappen, das war ja schließlich die wichtigste Information, sie wäre bestimmt in der Lage, den Artikel dann für uns zu bestellen). Sie sah uns an, zeigte auf mein mittlerweile unübersehbares Bäuchlein und fragte: „Baby?“ – „Yes, yes, it's for the baby.“ Beidseitiges Nicken, Lächeln, Verbeugen. Gut, anscheinend hatte sie uns verstanden und war nur nochmal sichergegangen, dass wir auch tatsächlich eine Wickelkommode für ein Baby kaufen wollten. Zufrieden machten wir uns auf den Weg zur Kasse und bezahlten.
Die Überraschung kam zwei Wochen später, als der Artikel geliefert wurde. Schon die Box kam uns verdächtig groß vor und beim Öffnen mussten wir feststellen, dass wir nicht die Wickelkommode, sondern das Babybett gekauft hatten! Ein Blick in den online-Ikeakatalog bestätigte uns, dass sowohl die Kommode als auch das Bett „Leksvik“ hießen und beide genau 8500 NT $ kosteten. Nun gut, es gab Schlimmeres und wir waren ja selber Schuld. Wir lachten also über diese Aktion, behielten das Bett und machten uns erneut auf zu Ikea, um den Wickeltisch zu erstehen.
(c) Susanne Selder 2009